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Warum Läufer die besseren Menschen sind

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Der Schneeberg in unserem Garten wächst täglich. Unsere Hofeinfahrt ist seit Wochen eine rutschige Eisfläche. Die Laufbahn des nahen Sportplatzes wurde seit Ewigkeiten nicht geräumt. Wer hier rennen will, muss erst Schnee schippen.

Für Jogger ist dieser Winter in New York eine Katastrophe. Es ist nicht nur einfach kalt. Nein, es ist beißend eisig . Minus 20 Grad sind keine Ausnahme, sondern fast Normalzustand. Dazu weht meist ein fieser Wind. Mehr als ein paar Minuten geht derzeit kaum jemand vor die Tür. Mein Wintersport heißt in diesem Jahr Schnee schaufeln.

Ja, das ist anstrengend. Vor allem, wenn es diesen schweren Schnee gibt. Der feucht am Boden klebt. Ich genieße diese halbe Stunde, in der ich mich mit Winterjacke, Stiefeln, Handschuhen und Mütze wenigstens ein bisschen bewegen kann. Und je länger dieser Winter dauert, um so mehr spüre ich, wie sehr mich dieser Winter lähmt. Die New York Times brachte es in einem Leitartikel auf den Punkt: "Der Winter verengt den Blick auf den Raum zwischen den Kapuzenrändern. Er betäubt das Herz, er stumpft die Reflexe der Freundlichkeit und Dankbarkeit ab. (...) Es ist windig. Es tut weh. Ich kann nicht mehr."

Genauso so geht es mir heute auch. Wohl noch nie zuvor habe ich Bewegung mehr vermisst. Schon beim Aufwachen denke ich darüber nach, wie schön es wäre, jetzt gleich die Turnschuhe anzuziehen und eine Runde durch die frische Luft zu laufen. Eine Freundin von mir sagt immer, wenn sie schlecht gelaunt ist, geht sie shoppen. Ich bin bisher laufen gegangen. Aber das kann ich jetzt nicht. Und ich fühle, wie mich das verändert. Ich bin viel launischer. Weniger geduldig. Manchmal bin ich richtig antriebslos und muss mich zwingen, Dinge zu tun, die mir sonst total leicht fallen. Tag für Tag wird es schlimmer. Als ich heute früh die Wettervorhersage gesehen habe und wieder Schnee angesagt wurde, bin ich laut schimpfend durch die Wohnung gelaufen. So ein Mist.

Ich schlafe schlechter als sonst. Hänge viel zu viel auf dem Sofa rum. Meine Hände und Füße sind ständig kalt. Mein Rücken tut weh. Sogar die Fußsohlen schmerzen. Wenn ich dringend eine Idee für einen Text brauche, laufe ich jetzt im Wohnzimmer auf und ab. Das funktioniert auch, aber das befreiend, euphorische Gefühl eines Fünf-Kilometer-Laufs fehlt mir. Überall und ständig.

Gestern musste ich drei Treppen nach oben laufen. Bislang eine einfache Übung. Diesmal war ich als ich oben ankam außer Atem, mein Herz schlug viel zu schnell und die Oberschenkel spannten. So alt kam ich mir lange nicht vor.

Ich habe in den letzten Jahren viel darüber geschrieben, wie gut Laufen dem menschlichen Organismus tut. Wie es gesund hält und fröhlicher macht. Jetzt fühle ich mich gerade wie mitten drin in einem großen Wissenschaftsprojekt, dass die negativen Folgen von Bewegungsarmut untersucht. Ich spüre, wie mich dieser Winter zu einem schlechteren Menschen macht, das Wetter mich auslaugt. Ich habe den Winterblues. Damit bin ich keine Ausnahme. Wenn ich mit befreundeten Läufern spreche, erzählen sie alle dasselbe.

Inzwischen ist es März. Und irgendwann, in nicht zu ferner Zukunft, wird auch dieser Winter endlich zu Ende gehen. Dann heißt es wieder "antrainieren". Aber hey, diesmal weiß ich, dass ich meine Laufschuhe mit einem Lächeln anziehen werden. Denn ich bin mir sicherer denn je: Läufer sind die besseren Menschen.

 


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